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🛡️ Schutzhundesport auf dem Prüfstand

Aktualisiert: vor 6 Tagen

Zwischen Tradition, Tierschutz und moderner Verhaltensforschung


Der sogenannte Schutzhundesport – heute unter dem Kürzel IGP (Internationale Gebrauchshundeprüfung) bekannt – hat eine lange Geschichte. Ursprünglich entwickelt, um Diensthunde zu prüfen, umfasst er drei Disziplinen: Fährtenarbeit, Unterordnung und den umstrittenen Schutzdienst.

Während Fährte und Gehorsamsarbeit als sportlich anspruchsvoll und weitgehend unkritisch gelten, steht der Schutzdienst – also das kontrollierte Verbellen und Zupacken eines „Gegners“ (Figuranten) – zunehmend in der Diskussion: ethisch, tierschutzrechtlich und verhaltensbiologisch.

🔍 Was passiert im Schutzdienst?

Im Schutzdienst wird das Beutefangverhalten des Hundes gezielt aktiviert und auf den sogenannten Schutzarm des Figuranten gelenkt. Der Hund lernt, unter hoher Erregung „kontrolliert“ zu agieren: Zupacken, Halten, Loslassen auf Kommando. Diese Abläufe werden durch gezielte Reizsetzung (z. B. Flucht oder Bedrohung durch den Figuranten) sowie durch Verstärkung mit Spiel und Lob trainiert.

So entsteht eine scheinbar sportliche Arbeit – die jedoch auf künstlich erzeugter Konfliktdynamik und einem sehr hohen emotionalen Erregungsniveau basiert.

⚠️ Kritische Aspekte des Schutzdienstes

1. Erhöhte Reaktivität

Hunde im Schutzdienst werden gezielt auf bestimmte Reize konditioniert – schnelle Bewegungen, Bedrohungssignale, Körperspannung. Diese Form der Reizauslösung kann im Alltag zu übersteigerter Reaktionsbereitschaft führen – insbesondere bei Hunden mit geringer Impulskontrolle oder hoher Umweltempfindlichkeit.

2. Psychische Belastung

Nicht jeder Hund ist mental geeignet, regelmäßig mit Erregung, Frustration und körperlicher Auseinandersetzung umzugehen. Das Training kann bei ungeeigneten Hunden zu chronischem Stress, Unsicherheit oder Übersprungsverhalten führen. Besonders problematisch wird dies, wenn Hunde nicht parallel im Alltag stabilisiert werden.

3. Gesellschaftliches Imageproblem

Hunde, die bellen, fixieren und beißen – selbst unter Kontrolle – erzeugen bei vielen Menschen Unbehagen. Da im Schutzdienst häufig Rassen wie Malinois, Rottweiler oder Schäferhund eingesetzt werden, trägt der Sport ungewollt zur Stigmatisierung dieser Rassen und zu gesetzgeberischen Konsequenzen bei (z. B. Rasselisten, Leinenzwang).

4. Rechtliche und tierschutzrelevante Grauzonen

Trotz klarer gesetzlicher Verbote (§ 3 TierSchG) werden in Einzelfällen weiterhin tierschutzwidrige Hilfsmittel wie Stachel-, Würge- oder Stromhalsbänder eingesetzt. Das geschieht nicht nur außerhalb, sondern mitunter auch innerhalb etablierter Verbandsstrukturen. Der Verweis auf Prüfungsordnungen ersetzt keine tierschutzkonforme Praxis – die Verantwortung liegt bei jedem einzelnen Trainer und Verein.

🌍 Internationale Einordnung: Länder mit Verboten

Mehrere Länder haben den Schutzdienst oder Teile davon verboten oder stark eingeschränkt, meist aus tierschutz- oder sicherheitspolitischen Gründen:

Auch in Deutschland werden Vereine, Trainingsmethoden und Hundesportarten zunehmend durch Veterinärämter, Aufsichtsbehörden und die Öffentlichkeit kritisch begleitet.

Land

Status

🇳🇱 Niederlande

Seit 2008 vollständig verboten (kein IPO, KNPV, Ringsport etc.)

🇩🇰 Dänemark

Nur Behörden dürfen Schutzdienst ausbilden; Privatpersonen verboten

🇸🇪 Schweden

Nur Polizei/Militär erlaubt; privates Schutztraining illegal

🇳🇴 Norwegen

Generelles Verbot seit 2010; keine privaten Prüfungen

🇮🇸 Island

Privater Schutzdienst verboten, Zucht bestimmter Rassen stark eingeschränkt

🇦🇹 Österreich (Wien)

Komplettverbot im Stadtgebiet

🇨🇭 Schweiz (z. B. Genf, Wallis, Tessin)

Beißarbeit in mehreren Kantonen verboten


🐾 Haltung deutscher Tierschutzorganisationen

Auch in der deutschen Tierschutzlandschaft wird der Schutzdienst zunehmend kritisch betrachtet – insbesondere die sogenannte Beißarbeit:

  • 🔴 Deutscher Tierschutzbund e. V.fordert ein Verbot der Schutzdienstausbildung im Hundesport, da diese nicht mit dem friedlichen Zusammenleben von Mensch und Hund vereinbar sei.Sie sehen in der gezielten Ausbildung zum Zubeißen einen Verstoß gegen die tierschutzgerechte Haltung und Ausbildung.

  • 🔴 PETA Deutschland e. V.spricht sich ebenfalls für ein generelles Verbot des Schutzdienstes aus. Die Organisation verweist auf künstlich erzeugten Stress, Überforderung und Aggressionsförderung sowie auf das Risiko tierschutzwidriger Trainingspraktiken.

  • 🟠 TASSO e. V.lehnt den Schutzdienst indirekt ab. Zwar wird kein offizielles Verbot gefordert, jedoch betont, dass diese Form der Arbeit nicht für Hunde in Familienhaltung geeignet sei und das Risiko problematischen Verhaltens erhöhe.

  • 🟠 Vier Pfotenäußert sich kritisch gegenüber konfliktbasierten Ausbildungsmethoden, lehnt Gewalt und Druck im Training ab und warnt vor unerwünschten Nebenwirkungen des Schutzdienstes.

Der gemeinsame Tenor:
Moderne, gewaltfreie Hundeausbildung ist mit der Schutzdienstausbildung – besonders in der Form des Beißenlassens – nicht vereinbar.

📊 Schutzdienst und Beißvorfälle – Was sagt die Datenlage?

Immer wieder wird diskutiert, ob Hunde aus dem Schutzhundesport ein erhöhtes Risiko für Beißvorfälle darstellen. Auch wenn flächendeckende Studien fehlen, zeigen Gutachten, behördliche Erfahrungen und internationale Entwicklungen ein klares Muster:Hohes Erregungsniveau, fehlende Alltagstauglichkeit und mangelnde Impulskontrolle können gefährlich werden – insbesondere bei unsachgemäßem Schutzdiensttraining.

🔹 Gutachten in Deutschland

Sachverständige stellen regelmäßig in Beißvorfallgutachten fest:

  • „Hund aus dem Schutzdiensttraining zeigte Übersprunghandlung.“

  • „Gehorsam im Sport vorhanden – nicht im Alltag.“

  • „Erhöhte Reaktivität ohne soziale Rückbindung.“

🔹 Schweiz (Zürich, 2006–2015)

In einer Auswertung von rund 500 behördlich gemeldeten Beißvorfällen waren Gebrauchshunderassen (v. a. Malinois, Schäferhunde, Rottweiler) überrepräsentiert. Ein Teil der betroffenen Hunde wurde im Schutzdienst geführt, in vielen Fällen bestand eine unzureichende Alltagssicherung trotz Ausbildung.

🔹 Dänemark

Nach dem Verbot mehrerer Schutzdienst-risikobehafteter Rassen sowie privater Beißausbildung im Jahr 2010 sank die Zahl schwerer Beißvorfälle um über 30 % in drei Jahren.

🧩 Fazit:

Nicht der Schutzdienst an sich macht Hunde gefährlich – sondern:

  • Fehlende Alltagssicherheit

  • Erhöhte emotionale Reaktivität

  • Falsche Ausbildungsmethoden

  • Überforderung von Mensch oder Hund



🧠 Warum der Begriff „Trieb“ nicht mehr zeitgemäß ist

In Schutzhundekreisen ist oft von „Triebarbeit“ oder „Triebdruck“ die Rede. Diese Begriffe stammen aus der veralteten Instinkt- und Triebtheorie des 20. Jahrhunderts. Damals nahm man an, dass Verhalten durch innere „Triebe“ gesteuert werde, die sich wie Druckventile entladen, wenn ein passender Reiz auftritt (z. B. „Der Hund muss beißen, um Druck abzubauen“).

Heute weiß man: Verhalten entsteht durch das Zusammenspiel von Motivation, Emotion, Lernerfahrung und neurobiologischer Aktivierung. Fachlich korrekter spricht man von:

  • Verhaltenssystemen (z. B. Beutefang-, Flucht- oder Spielverhalten)

  • Motivationslage

  • Lerngeschichte

  • Erregungslage und hormoneller Regulation (z. B. Dopamin, Cortisol)

📌 Wenn heute noch von „Triebverhalten“ gesprochen wird, steckt meist veraltetes Wissen oder Traditionsdenken dahinter – kein aktuelles Fachverständnis. Wer moderne Hundearbeit betreibt, sollte diese Begriffe kritisch hinterfragen.


✅ Artgerechte Alternativen zum Schutzdienst

Wer seinen Hund sinnvoll auslasten möchte, braucht keine Konfrontation oder Beißärmel. Es gibt viele Möglichkeiten, die natürlichen Verhaltenssysteme des Hundes auf tierschutzgerechte Weise zu fördern:

  • Mantrailing – Nasenarbeit mit klarer Zielstruktur

  • Dummyarbeit – kontrollierte Jagdsequenzen mit Kooperation

  • Zielobjektsuche (ZOS) – intensive Geruchsarbeit auf kleinem Raum

  • Obedience, Longieren, Tricktraining – geistige Auslastung und Teamarbeit

  • Social Walks, Alltagstraining – Förderung von Sozialverhalten und Impulskontrolle


Diese Beschäftigungsformen orientieren sich an natürlichen Bedürfnissen des Hundes – Bewegung, Bindung, Sinnesreize, Lernfreude – und lassen sich in jeden Lebensalltag integrieren.

🏷️ Haltung unseres Vereins

Als Familien- und Sporthunde Hochwald e. V. steht für uns das harmonische Miteinander von Mensch und Hund im Mittelpunkt. Unser Fokus liegt auf einer tierschutzgerechten, modernen Ausbildung, die sich an der Natur und den Bedürfnissen des Hundes als soziales Lebewesen orientiert.

Aus fachlichen, ethischen und verhaltensbiologischen Gründen lehnen wir den Schutzhundesport – insbesondere die Beißarbeit im Schutzdienst – in unserem Verein ausdrücklich ab.

Diese Form der Beschäftigung basiert auf der gezielten Aktivierung von Jagd- und Abwehrverhalten unter hoher Erregungslage, oft verbunden mit künstlich erzeugten Konfliktsituationen. Solche Reaktionsmuster stehen im Widerspruch zur natürlichen Verhaltensstruktur des Hundes, der als kooperatives, kommunikationsfähiges Lebewesen agiert – nicht als Kämpfer gegen den Menschen.

Artgerechte Auslastung bedeutet für uns: Den Hund körperlich und geistig zu fordern, seine Sinne, seine sozialen Fähigkeiten und seine Kooperationsbereitschaft zu fördern – nicht aber, aggressive Verhaltensweisen künstlich zu verstärken oder zu ritualisieren.

Wir möchten Hundehaltern Wege aufzeigen, wie sie ihre Tiere bedürfnisgerecht, fair und sicher beschäftigen können – mit Angeboten, die auf Zusammenarbeit statt Konfrontation setzen.

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